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Maßnahmen und Handlungsansätze

10.3 Menschliches Verhalten verstehen

Um also Maßnahmen zur Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl ableiten zu können, ist es notwendig, sich mit dem Menschen und seinen menschlichen Verhaltensweisen zu beschäftigen und diese zu verstehen. Ein Erklärungsansatz ist jener des Verkehrsexperten Hermann Knoflacher (Knoflacher, H., 1987). Er geht davon aus, dass ein sogenannter interner Energieverrechnungsmechanismus existiert und dieser das Verhalten der Menschen beeinflusst.

Ein einfaches Beispiel zur Erklärung dieses Energieverrechnungsmechanismus ist: Betritt man unser Bürogebäude hier an der TU Wien, so sieht man einen Personenaufzug und das Stiegenhaus. Unser Büro befindet sich im 2. Stockwerk des Hauses. Befragt man StudentInnen, welche mich in einer Sprechstunde aufsuchen wollen, wie sie in den 2. Stock gelangt sind, so antworten über 95 % der Befragten, dass sie ohne zu überlegen den Lift verwendet haben. Jene 5 % der Befragten, die zu Fuß in den 2. Stock gegangen sind, antworten sinngemäß, dass sie aus sportlichen oder gesundheitlichen Überlegungen sich bewusst dafür entschieden haben, die Stiegen zu verwenden.

Es bedarf also in diesem Fall einer bewussten geistigen Anstrengung, die Information der gebauten Struktur (Lift vs. Stiege) so zu lesen, dass man sich gesundheitsfördernd verhält.

Überträgt man diese Verhaltensweise auf das Verkehrssystem, so wird klar, warum sich Menschen in Bezug auf die Verkehrsmittelwahl so verhalten, wie sie es tun – sie optimieren/minimieren ihren eigenen Energieverbrauch/Aufwand für Mobilität. Es wird aber auch klar, dass Maßnahmen, die auf das Bewusstsein abzielen und so das Verkehrsverhalten hin zu umweltfreundlichen Verkehrsmitteln verändern sollen, auf Dauer nicht erfolgreich sein können, da sich der Energieverrechnungsmechanismus auf der unbewussten Ebene abspielt und dort die Verhaltensweisen der Menschen steuert.

Basierend auf diesen Überlegungen ist es nun ein Leichtes, Maßnahmen und Handlungsansätze zur Steuerung des Mobilitätsverhaltens auf ihre Wirksamkeit hin zu bewerten. Die Maßnahmen müssen im Menschen auf der unbewussten Ebene ein systemadäquates (= externe Ressourcen schonendes) Verhalten induzieren.

Im oben genannten Beispiel mit dem Bürogebäude, Stiegenhaus und Lift müsste a) das Stiegenhaus näher zum Eingang liegen als der Lift und durch eine attraktive Gestaltung (Licht, Steigungsmaß der Stufen, Großzügigkeit) etc. den Menschen in die Obergeschoße leiten. Der Lift ist natürlich aus Gründen der Barrierefreiheit in das Haus zu integrieren, sollte jedoch durch eine geeignete Gestaltung und räumliche Anordnung im Gebäude nur von jenen Menschen benutzt werden, die darauf angewiesen sind.

Im Kontext von Mobilität und Wohnen müssten daher Siedlungsstrukturen so gestaltet werden, dass sich Menschen automatisch umweltgerecht verhalten. Dies kann erreicht werden, indem man die Planungen der Siedlungsstrukturen wieder auf den menschlichen Maßstab zurückbringt. Nicht das Auto und seine Bedürfnisse sollten im Vordergrund stehen, sondern der Mensch und die systemrelevanten Verhaltensweisen müssen die Grundlage der Planung bilden.

Viele dieser Planungsprinzipien sind schon lange bekannt und ausformuliert, wie zum Beispiel die Stadt der kurzen Wege, Mischnutzungsprinzipien oder das leidige Thema der Stellplatzverordnungen.

Leider werden diese Planungsgrundsätze vielerorts nicht konsequent genug umgesetzt bzw. werden althergebrachte Grundsätze weiterhin angewandt.