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Die offene Stadt Simona Stockreiter

12.18 „Offenheit“ als Voraussetzung für Beteiligung

Das wesentliche Merkmal der Stadtlandschaft als auch des Entwurfs einzelner Gebäude in offenen Städten besteht darin, dass Form und Funktion bis zu einem gewissen Grad voneinander getrennt werden. So kann sich die Form eines Gebäudes, seiner Funktion, die in der Vergangenheit bereits Veränderungen unterlag, welche sich in Zukunft nur noch weiter beschleunigen werden, besser anpassen.

Ein Gebäude in einer offenen Stadt sollte demnach der schwierigen Herausforderung gewachsen sein, multifunktionell und flexibel benutzt zu werden. Voraussetzung dafür sind Formen, die nicht überdeterminiert sind und somit in Bezug auf ihre Umwelt als auch im Dialog zwischen Vergangenheit und Zukunft stehen.

Diese Flexibilität in der Gestaltung lässt sich auch auf die Stadt-und Quartiersplanung übertragen. Wichtig ist hierbei, wie bereits erwähnt, der Gedanke, dass der physische Raum die Art und Weise der Kommunikation und Kooperation der Bewohner*innen wesentlich beeinflusst.

Aus diesem Grund schlägt Sennett vor, Stadtquartiere zu öffnen, indem ihre Grenzen zwar nicht aufgelöst, aber „porös“ gestaltet werden, sodass sich die Interaktion zwischen unterschiedlichen „communities“ intensiviert.

Da die Gebäude und Plätze durch ihre offenen und frei gestaltbaren Formen selbst multifunktionell nutzbar sind, wird den Bewohner*innen und Nutzer*innen die herausfordernde Freiheit zurückgegeben, sich den Raum selbst in einer spontaneren, interaktiveren aber auch konfliktgeladeneren Weise anzueignen und kreativ zu gestalten.

Öffentliche Räume und Gebäude, die in Form und Funktion flexibel gestalt- und benutzbar sind, ermöglichen demnach ein – geschlossenen Systemen entgegengesetztes – Verbindung von Arbeit und Wohnen, als auch die freie Kreation von Orten für Kultur und Soziales.

Indem eine möglichst vielfältige Nutzung offengelassen wird, die Veränderungen und kreative Aneignungsprozesse zulässt, entwickeln Orte eine eigene, komplexe und vielfältige Identität.

„Die hybride Stadt ist jene, welche das Nebeneinander, die Überlagerungen und die Wechselwirkungen alltäglicher, sozio-kultureller und wirtschaftlicher Urbanität fassen kann. Ihre Räume ermöglichen Aneignung und Aushandlung, sie katalysieren und schützen kulturelle Vielfalt und Differenzierung.“ (Overmeyer, K. & al, 2014)

Wenn die Funktion eines Raumes bereits im Vorfeld determiniert ist und somit die Komplexität der Lebensformen in einer ausdifferenzierten, pluralistischen Gesellschaft reduziert wird, werden die spontane Interaktion und damit das Erlernen der Fähigkeit zur Kooperation und zum Dialog erschwert. In einer offenen Stadt hingegen ist die Bereitschaft von Bewohner*innen, die grundlegend verschieden sind, zu kooperieren eine viel größere.

„Partizipation ist eng mit der physischen Gestaltung der Stadt verbunden. […] Das Problem der Partizipation in immer globaler werdenden Städten wie London oder New York besteht darin, wie Menschen sich anderen verbunden fühlen können, die sie gezwungenermaßen nicht kennen. Demokratischer Raum bedeutet die Schaffung eines Forums für die Interaktion dieser sich fremden Menschen.“ (Sennett, R., 2006)

Es ist demnach wichtig, eine physische Struktur zur Verfügung zu stellen, die die Einwohner*innen ermächtigt und anregt, ihren Lebensraum selbst zu gestalten. Ein Beispiel dazu ist das Projekt „Deflat Kleiburg in Amsterdam“, das 2017 mit dem Mies van der Rohe Award ausgezeichnet wurde. Im folgenden Video stellen es die Bewohner*innen vor:

Die Flexibilität im Design, offene Formen, synchrone Tätigkeiten und Quartiere, die durch Differenzen und poröse Grenzen gekennzeichnet sind, bedeuten nach Sennett, dass Wachstum und Verdichtung von Städten mittels kooperativer Konzepte, die den Dialog in den Mittelpunkt stellen, stattfindet. So steigen mit dem lokalen Engagement soziale Kohäsion und persönliche Lebensqualität.

Eine kooperative Stadtgestaltung bzw. „eine Kultur des Ermöglichen“ (Misselwitz, Ph., 2014) ist demnach stark von der Raum- und Gebäudegestaltung selbst abhängig. Eine offene flexible Form impliziert für Sennett eine wesentliche Voraussetzung für Partizipation.

Ein gutes Beispiel bietet die Millenniumsbrücke in London:

„Obwohl stark definiert, ist dieser Übergang nicht geschlossen gestaltet. Entlang des Nord- und des Südufers der Themse erzeugt er eine Regeneration der von seinem Zweck und seiner Gestaltung völlig unabhängigen Längsbebauung. Fast unmittelbar nach seiner Eröffnung regte dieser Übergang innerhalb seiner Grenzen ungezwungene Begegnungen und Verbindungen zwischen Menschen an, die diesen Bogen überquerten. Er ermöglichte einen entspannten Umgang zwischen Fremden – die Grundlage für das wahrhaftig moderne Wir-Gefühl. Das ist demokratischer Raum.” (Sennett, R., 2006)


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